
Die Philosophin Dr. Sidonie Kellerer kam 2015 an die Universität Stuttgart, um im Rahmen des von Volkswagen gestifteten wissenschaftlichen Projekts „Freigeist Fellowship“ zu Heideggers Wirken und Anschauung im Nationalsozialismus zu forschen. Bis heute konnte nicht geklärt werden, inwiefern Heideggers philosophische Auffassung dem der Nationalsozialisten entsprach und ob der Philosoph rassistische Überzeugungen vertrat.
Am 1. Mai 1933 tritt ein einflussreicher Philosoph, dessen ideologische Haltung zum Nationalsozialismus Jahrzehnte lang rätseln ließ, der NSDAP bei und bleibt bis Kriegsende Mitglied. Dieser Philosoph war kein geringerer als Martin Heidegger. Zuvor im April 1933 war er zum Rektor der Freiburger Universität gewählt worden. Wilhelm von Möllendorff, der ihn vorgeschlagen hatte, musste aufgrund seiner sozialdemokratischen Gesinnung einen Tag zuvor zurücktreten. Eine eingehende Beschäftigung mit Heideggers Leben führt unweigerlich zu der Frage, ob er den nationalsozialistischen Gedanken als Philosoph begrüßte. Die starre Vorsicht zu voreiligen Schlüssen ließ diese Frage lange unbeantwortet. Denn Heidegger war nicht der erste deutsche Philosoph dem nationalsozialistische Sympathien nachgesagt wurden.
Schon Nietzsche war dank der Intrigen und der Ruhmsucht seiner Schwester zum geistigen Anführer der Nazis aufgestiegen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass seine Aphorismen und Schriftlichkeiten an entscheidenden Stellen manipuliert wurden, um den Nazis und dessen kranken Ideologien einen philosophischen Nährboden zu verleihen. Nietzsche stilisierte den „Übermenschen“ derart hoch, dass Adolf Hitler darin die Figur arischer Weltherrscher wiedererkannte. Hinzu kam der Gedanke vom Überleben des Stärkeren, geprägt von der nihilistischen Auffassung des Lebens. Noch heute halten Nietzsche-Gegner an diesem historischen Missverständnis fest. Zurück zu Heidegger. Seine kritische Haltung zum Nationalsozialismus, welche er auch zu erkennen gab, löste einen Zwiespalt in den folgenden historischen Darlegungen aus. Anders als bei Nietzsche wurden seine aufgeschriebenen Gedanken nachträglich so modifiziert, dass aus der ursprünglichen Apologie eine viel mehr kritische Haltung zum Nationalsozialismus herauszulesen war.
Diese entscheidenden Abänderungen waren in einem Vortrag mit dem Namen „Die Zeit des Weltbildes“, erstmals 1950 publiziert, richtungsweisend vorgenommen worden, welche unter anderem der Wissenschaftlerin Sidonie Kellerer zum Gegenstand ihrer Forschung dienten. Zudem liefern die 2014 erschienenen sogenannten „Schwarzen Hefte“ einen klaren Anhaltspunkt darüber wie tief Heideggers Gedankenmassiv in rassistische und nationalsozialistische Anschauungen verwickelt war. Aufklärung darüber sollte Kellerer`s „Freigeist-Projekt“ unter dem Titel „Heidegger und die Postmoderne: Geschichte einer Irreführung?“, liefern. Hierin wollte Kellerer erstmalig einen systematischen Vergleich der Manuskripte aus der Zeit des Dritten Reiches mit den später veröffentlichten Texten anstellen. So wollte sie damit den Umfang der nachträglichen Veränderungen festlegen. Eine Ausweitung Heideggers philosophischer Wirkung auf den französischen Totalitarismus den er kritisiert hatte soll die philologisch-philosophische Analyse mit Fakten stützen, um weitere Fragen zu klären. Die „Freigeist-Fellowships“ war ein Projekt der Volkswagen Stiftung das herausragende, unkonventionelle und zugleich risikoreiche Forschungen fördert. Kellerere`s wissenschaftliche Arbeit wurde mit 681.900 Euro gefördert.