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Der Herr der Drohnen

In der Türkei entwickelt sich ein mit Nationalliebe begleiteter industrieller Trend, Technologien für das Wohl und die Sicherheit des Landes zu entwickeln. Die Regierung investiert Milliarden und ein weiteres Technologiezentrum wurde diesen Sommer feierlich eröffnet. Das Drohnenprogramm des Landes ist Ausdruck einer wirtschaftlichen Dynamik, die nicht neu ist, aber jetzt zur vollen Entfaltung kommt. Junge Ingenieure strömen ins Land und lösen einen Technologietransfer aus, der zur Gründung zahlreicher StartUps führt und die Grundfeste bislang gekannter Machtverhältnisse in Wirtschaft und militärischer Stärke auf lange Sicht verschieben wird. Einer der diesen Trend mit eigenen Händen formt ist Selcuk Bayraktar. Bekannt ist er als der Schwiegersohn des Präsidenten Erdogan. Längst hat er sich aber ein eigenes Image als Popstar in der Drohenenentwicklung verschafft.

Vor einem Jahrzehnt war das türkische Militär noch auf den Import israelischer und us-amerikanischer Drohnen angewiesen. Damals konnte noch keiner so recht an eine Wende in der Militärrüstung glauben. Das türkische Drohnenprogramm kämpfte mit lieferbedingten Problemen. Ein von Ankara erteilter Auftrag zur Entwicklung der Anka, einer Langstrecken-Drohne, scheiterte schon beim ersten Flug im Jahr 2010. Nach 15 Minuten Flugzeit stürzte das Objekt zu Boden. Kein Vergleich mit der Gegenwart. Heute sind die Dimensionen in Investition und Entwicklung nicht mehr die der früheren. Es herrscht ein geradezu nationaler technologischer Industrietrend, der die politische Stimmung des ganzen Landes auf eine neue Grundlage stellt. Die nahezu tägliche Entwicklung neuer Technologieprojekte stellt tagespolitische Ungereimtheiten, die sich an jahrzehntealten Fragen entzünden, in den Schatten. Sie schafft Einheit und Solidarität. Die Bedingungen für junge Unternehmen sind heute so gut wie nie zuvor. Automation, künstliche Intelligenz, Industrie 4.0., Robotik. In allen Bereichen hat das Technologiezentrum in Gebze zukunftsweisende Projekte vorzuweisen, die von knapp 90 jungen Unternehmen entwickelt werden.

Kaum ist das Vorhaben eines türkischen Silicon Valley umgesetzt, steht auch schon ein weiteres Technologiezentrum bereit. Diesen Sommer eröffnete der Präsident höchstpersönlich das MESS-Technologiezentrum in Istanbul. Ganze 85 Technoparks und 1.607 Forschungs- und Designzentren beherbergt das Technologiedörfchen. Man kann von Erdogan derzeit halten was man möchte. Mit den wirtschaftlichen Erneuerungen und den technologischen Projekten steuert er unaufhaltsam auf eine Jahrhunderstpräsidentschaft zu. Wie kommt es? Es sind junge Maschinen- und Elektroingenieure, Programmierer und Designer, die nach ihren Studiengängen in Amerika und Europa in die Türkei zurückkehren, um dort an bedeutungsvollen Entwicklungen ihres Heimatlandes teilhaben zu können. Die Türkei bietet lukrative Karrieremöglichkeiten. Sie bietet jedem Ingenieur, an einem wichtigen historischen Kapitel der Türkei teilzuhaben. Einer von Ihnen ist Selcuk Bayraktar. Er lenkt das Rüstungsunternehmen der Türkei, das derzeit die erfolgreichsten Projekte verwirklicht hat. Wohl auch, weil er der Schwiegersohn des Präsidenten ist. Binnen kürzester Zeit hat er die Familienwerkstatt, gegründet 1984 von seinem Vater Özdemir Bayraktar, zu einem konkurrenzfähigen Rüstungsunternehmen ausgebaut.

Heute entwickelt es unter dem Namen Baykar Defense Drohnen, als würde es dies schon seit Jahrzehnten tun. Zu den Vorzeigeprojekten des Unternehmens gehören der Bayraktar TB2 und Akinci. Im Juni absolvierte die Aufklärungsdrohne Bayraktar TB2 200.000 Betriebsflugstunden. In den sozialen Medien wurde dieser Erfolg vielfach als Meilenstein der aufstrebenden türkischen Wirtschaft und Rüstungsindustrie gefeiert. Begleitet wird die Stimmung vom Traum einer langersehnten Auferstehung der türkischen Macht. Der Name Baykar steht für Bayraktar Kardesler, was so viel wie die Gebrüder Bayraktar bedeutet. Mit seinen zwei Brüdern bringt Selcuk Bayraktar den Traum der türkischen Rüstungsindustrie auf eine neue Ebene der Realität. Doch Bayraktar ist nicht etwa nur erfolgreich, weil er der Schwiegersohn des Präsidenten ist. Der gebürtige Istanbuler hat eine steile akademische Karriere vorzuweisen. Zwischen 1997 und 2002 studiert Bayraktar Elektro- und Kommunikationstechnik an der Universität in Istanbul. Währenddessen bewirbt er sich um ein Praktikum beim Grasp-Labor der University of Pennsylvania. Dort wird ihm wegen seiner herausragenden Leistungen ein Stipendium angeboten. 2004 schließt er sein Master in unbemannten Flugzeugen an der selbigen Universität ab. Bayraktar macht weiter. Am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) schließt er sein zweiten Master ab. Diesmal über aggressive Manöverkontrollen unbemannter Luftfahrzeuge. Gleichzeitig ist er als Assistent unter der Leitung von Prof. Pappas und Prof. Feron an den weltweit erstmaligen wissenschaftlichen Studien zu UAV-Formationsexperimenten, boden- und luftkoordinierten Roboterteams und Flugsteuerungs- und Leitsystemen beteiligt.

2007 kommt ihm der Gedanke, ein Ingenieursteam zu bilden, das sich der Entwicklung und dem Bau unbemannter Drohnen widmet. Es ist ein Traum der Familie Bayraktar. Doch es soll nicht in Amerika geschehen. In der Türkei sieht er für sein Vorhaben das einzig richtige politische, ökonomische und gesellschaftliche Umfeld. Als technischer Manager leitet er von 2007 an Baykar Defense. Ursprünglich belieferte Baykar die Automobilindustrie. In den Neunzigern begann der Gründer Özdemir Bayraktar Luftfahrzeuge und dazugehörige Systeme aus Israel zu kaufen. Er plante die Drohnen im damals herrschenden Bürgerkrieg zwischen der Kurdenguerilla PKK und der türkischen Armee einzusetzen. Aber die israelische Regierung machte ihm ein Strich durch die Rechnung und lehnte ein solches Vorgehen ab. Mit der Entscheidung Israels keimte in dem Unternehmer der Entschluss, Drohnen in der Türkei zu bauen. Als Schüler des verstorbenen Politikers und damaligen Ministerpräsidenten Erbakan war Bayraktar glühender Nationalist und hegte den Traum einer machtvollen islamischen Türkei. Nach der Gründung einer Werkstatt im Jahr 2000 zum Bau unbemannter Flugobjekte, konnte die Produktion schon zwei Jahre später beginnen.

Die aktuellen Entwicklungen in der Militärrüstung sind emotional und historisch geladen. Der Bayraktar TB bedeutet mehr als nur technischer Fortschritt und wirtschaftliche Kraft. Er erzählt den Traum einer technologisch fortschrittlichen Türkei, begeistert in der Gegenwart und setzt zugleich Signale gegen mögliche politische Widersacher in der Zukunft. Die Warnung an den Rest der Welt drückt sich in einer technisch deutlichen Sprache aus. Das taktische unbemannte Luftfahrzeug ist ein Multitalent. Es kann sich bis zu 27 Stunden in der Luft halten und verfügt über eine vollautomatische Flugsteuerung, welcher eine vollständig autonome und vom Bodensystem unabhängige Lande- und Startfähigkeit ermöglicht. Schon seit 2014 führt sie Operationen durch. Sie ist kampferprobt und auf die Gegebenheiten einer realen Operation perfekt abgestimmt. Die türkischen Streitkräfte und die Gendarmerie führen mit dem Bayraktar schon seit 2014 erfolgreich Missionen durch. Das gesamte Navigationssystem ist ausgestattet mit einem Daten-Terminal und einer Remote-Display-Station und erlaubt Überwachungs-, Aufklärungs- und Angriffsmissionen zielgenau durchführen. Die Drohne ist kompatibel mit präzisionsgelenkter Munition. Gestellt wird sie von Roketsan Defense, einem türkischen Waffenkonzern für raketengetriebene Systeme. Das ist wichtig. Denn die Türkei will künftig alle Teile für inländisch entwickelte Waffensysteme durch eigene Konzerne herstellen lassen.

Im September 2018 erwähnte Erdogan, dass 85 % der eingesetzten Waffen aus der heimischen Produktion stammen. Rüstungsunternehmen wie Raketsan sind Teil eines immer weiter wachsenden Zulieferernetzwerks. Für das Jahr 2017 meldete Raketsan ein Umsatz von 376 Mio. Dollar. An ihm beteiligt sich mit 15% der noch größere börsennotierte Rüstungskonzern Aselsan mit einem Umsatz von 1,5 Mrd. Dollar. Die türkische Politik scheint den wirtschaftlichen Mehrwert inländisch entwickelter Rüstungstechnologien und dessen Auswirkungen auf die globale Wettbewerbsfähigkeit endgültig erkannt zu haben. Dies zeigt sich dieser Tage in den hohen Ausgaben für das Militär. Im April schrieb die Hürriyet, dass die türkische Regierung 20,4 Milliarden Dollar für militärische Zwecke ausgegeben hat. Die Türkei befolgt damit eine Strategie, mit der sie langfristig niedrigere Produktions-, Betriebs- und Wartungskosten sichern möchte. Ganz neu sind die ambitionierten Rüstungspläne der Regierung nicht. Und dennoch; der Bau von unbemannten Drohnen ist zum nationalen Ausdruck einer bislang ungekannten offensiven Rüstungspolitik geworden. Die Drohnenindustrie fügt sich dem Tenor einer osmanischen Freiheitsromantik, die von einer politisch gehypten türkisch-nationalen Aufbruchstimmung geprägt ist. Die türkische Identität erlebt eine innere Wandlung. Eine, die zwischen politischer Ermüdungserscheinung jugendlicher Wähler und ideologischer Zerrissenheit alter Parteien geschieht. So auch der angesichts der wirtschaftlichen Lage paradox anmutende Aufschwung der Rüstungsindustrie.

Zwischen Corona-Krise und Inflation basteln türkische Ingenieure an technisch ausgefeilten Drohnensystemen. Forschung und Entwicklung werden durch die türkische Regierung mit Milliardeninvestitionen vorangebracht. Ismail Demir, der oberste Beschaffungsbeamte der Türkei, lies am 22. Februar auf einer Konferenz über Robotertechnologien wissen: „Eine neue Generation von unbemannten Fahrzeugen- Land-, See- und Luftfahrzeuge – wird unser Arsenal weiter stärken.“ Das Ziel einer konkurrenzfähigen, unabhängigen und wirtschaftlich aufstrebenden Türkei scheint die gegenwärtig politischen Gefälle des Landes zu überwinden. Denn über die Definition einer „Neuen Türkei“ sind sich die meisten Parteien trotz innerpolitischer Spaltungen einig. Das Jahrhundertjubiläum der türkischen Republik verspricht nicht nur Erdogan einen beispiellosen Platz in der Geschichte der türkischen Republik. Es ist ein Jubiläum an der die Türkei die Welt teilhaben lassen möchte. Erdogan hatte im Dezember 2019 verkündet, dass die Türkei es schaffen werde, eigene Kampfjets herzustellen, genauso wie man es mit unbemannten Luftfahrzeugen getan habe.

Auch wenn sich derzeit kein absehbarer Zeitpunkt festlegen lässt, weil bei der Entwicklung der Triebwerke bislang keine konkreten Erfolge erzielt werden konnten, kann von einer baldigen inländischen Produktion aller militärischen Systeme ausgegangen werden. Denn der türkische Luft- und Raumfahrtkonzern TAI arbeitet unaufhörlich an der Entwicklung eines einheimischen Design- und Entwicklungsprogramms. Zu seinen neuen Projekten zählt die TAI das TF-X-Programm, in dessen Rahmen die Türkei nach Aussagen der Behörde zu den wenigen Staaten gehören wird, „das über erforderliche Technologien, die technische Infrastruktur und die Produktionskapazität verfügt.“ Ziel sei es, die alternde F16-Flotte mit der TurAF zu ersetzen. Dazu hat die Luft- und Raumfahrtbehörde einen Vertrag mit dem Unterstaatssekretariat des türkischen Verteidigungsministeriums unterschrieben. Allein diese Unterzeichnung, so die Behörde, sei ein wichtiger Beweis für die Entschlossenheit der Türkei, Megaprojekte auch unter außergewöhnlichen Bedingungen ununterbrochen durchzuführen. Beweise braucht es derweil eigentlich keine mehr. Die Türkei steuert darauf, das mächtigste islamische Land zu werden. Die junge Bevölkerung, der Technologietransfer, die wachsende Anzahl neuer StartUps und eine gut ausgebaute technische Infrastruktur, gewährleistet durch wichtige Schlüsselkonzerne, sind ausschlaggebende Faktoren, die sich wenig beeindruckt von der Inflation und den Folgen der Corona-Krise zeigen.

Von der Europäischen Union hat sie sich die Türkei schon lange und endgültig abgewandt. Während Medien in Europa seit dem gescheiterten Putschversuch über die Abhängigkeit der Türkei von der EU geschrieben hatten, verschob die militärische Rüstung und die damit einhergegangene Autonomie der Türkei inzwischen ganze Macht- und Interessensverhältnisse. In der Syrien-Politik kommuniziert das die Türkei unmissverständlich. Dass die Türkei inzwischen eine entscheidende Rolle in Friedensgesprächen und anderen Verhandlungen spielt, bedeutet Veränderung auf so vielen Ebenen. Wieder ein Syrien-Beispiel: Hier werden die USA keinen unnötigen Konflikt riskieren. Denn die Türkei ist dagegen unter den gegebenen Bedingungen zu jedem Konflikt bereit. Auch die Staaten der EU wissen darum, auch wenn es nicht zur Sprache kommt. Es ist eine „neue Türkei“ wie es Staatspräsident Erdogan gerne nennt, um das Herannahen eines neuen türkischen Kapitels zu beschreiben. Eine Türkei, die nicht mehr auf Import angewiesen ist. Eine Türkei die unabhängig militärische Entscheidungen von internationaler Tragweite trifft und Verhandlungen führt. Eine Türkei, die selbst entscheidet, in welche Konflikte sie sich einschaltet. Das bedeutet Machtverschiebung. Das bedeutet neue Spielregeln im Nahen Osten. Das bedeutet klare politische und geostrategische Positionierung. Ein islamisch geprägtes Land dieser militärischen und wirtschaftlichen Stärke verunsichert Europa. Denn es ist nicht mehr die Türkei, die an den Toren Europas um die Aufnahme in die EU bettelt. Es ist nicht mehr die Türkei, die sich durch ein Bündnis westlicher Staaten das politische Statut des Westens einhämmern lässt. Man könnte von einer Überreaktion sprechen, zu dem jahrelang anhaltende Ablehnungen gegenüber der Türkei geführt haben.

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