Meinung

Die Wiesn. Ein Ort der politischen Demenz und sturen Ignoranz.

Eigenartig, dass die Wiesn in diesem Jahr von jeglicher moralischer und zuweilen aggressiver Kollektivkritik unberührt blieb. So, als wäre sie eine unpolitische Insel und als könnte man dort, mithilfe des Alkoholrauschs, dem Chaos politischer Umtriebe entkommen. Aber vielleicht ist das auch deshalb gut, weil es auf diese Weise die Symptome unseres politischen und gesellschaftlichen Irrwegs am markantesten zur Schau bringt. Es ist Krieg und Europa hat sich selbst eine rechthaberische Friedens- und Außenpolitik suggeriert, die einer Jahrhundertreform gleich kommt. Krieg ist wieder super und gehört zum Bewusstsein der europäischen Identität. Das Rollenbild ist nun ein ganz anderes. Man möchte seine Position als Initiator einer aufgeklärten Leitkultur schließlich verteidigen. Wenn nötig, auch mit Krieg. Stellenweise, wie in Deutschland, vermischt sich dieser unübersichtliche Zeitgeist aufkeimender Jungrevolutionäre, mit neuen ideologischen Strömungen, die die ohnehin bestehende polarisierte Stimmung des Landes mit zusätzlichen Grundsatzdebatten anheizen. Da ist ein Unternehmen schon mal gezwungen, sich einer unqualifizierten Truppe an Moralpolizisten zu beugen und Produkte zurückzurufen oder eben mainstreamgerecht umzubenennen. Aber auf der Wiesn gibt es das alles nicht. Niemand will Sexualisierung gewittert haben, trotz der primitiv anmutenden Dirndl, niemand will etwas über Alkoholisierung hören, trotz der zahlreichen Einsätze, die durch sogenannte Alkoholleichen ausgelöst werden, niemand ist sich bewusst, welche hässlichen Entwicklungen die Inflation durchmachen könnte, niemand betrachtet die traditionelle Verköstigung im Kontext aktueller verantwortungsbewusster Ernährungstrends. Da wurde die gutgemeinte vegane Weißwurst von der Landwirtschaftsministerin kurzerhand als eigenartig zusammengepresste Masse abgestempelt. Nicht, dass ich Veganer wäre. Ich sehe nur das, was sich kompromisslos widerspricht. Schweinshaxn und Hendl sind kulturell unkaputtbare Ausdrucksformen der bayrischen Lebensfreude. Ganz egal, was nun angesagt ist. Außerdem feiert man ja auch, weil man diesen Krieg gewinnen wird. Sowieso. Dafür verheizen die Deutschen sogar kurz vor dem Energiekollaps ihre restlichen Ressourcen an Strom und Gas. Bei Putin dürfte dieser Bluff nahezu echt rüber kommen. Wie viel Tonnen Müll wird eigentlich allein durch Verpackungen auf der Wiesn verursacht? Ich weiß es nicht. Und für eine aktuelle Studie will sich niemand aus der Feierlaune bringen lassen. Neuerdings kommt nicht einmal der Prophet der Virologie Drosten mit seiner Stimme durch. Und das obwohl die Inzidenz seit der hochgelobten Wiesn weiter ansteigt. Hach ja. Der Himmel der Bayern. Der strahlt selbst in der Apokalypse noch blau. Und seit dem die Europäer sich im kritikfreien Recht befinden, ist´s nochmal schöner. Flecken der politischen Demenz haben schon so manche Hochkultur zu Fall gebracht. Und da dies ja auch ein historisch gängiger Prozess ist, wollen wir es einfach mal so geschehen lassen.

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