Halil Celiksoy

Seit dem Anschlag der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober auf Israel hat sich in der medialen und öffentlichen Debatte viel getan. So viel, dass eigentlich jeder Berichterstattung eine ausführliche Zuordnung der Dinge vorausgehen müsste, um dem sich immer wiederholenden teuflischen Vorwurf von „Fake News“ aus dem Weg zu gehen. Für den Journalismus, der durch die rasante semiprofessionelle Contenterstellung innerhalb der Social-Media-Plattformen ohnehin unter Aktualitätsdruck steht, eine unmögliche Aufgabe. Instagram-Blogger haben politische Themen für sich entdeckt und Gaza wurde bislang mindestens 8,8 Millionen mal gataggt, #freepalastine kommt auf knapp 165.000 Beiträge. Junge Menschen auf der Suche nach der Wahrheit. Im Grunde aber ergeben sich der Wahrheitsgehalt und die Authentizität aller zugänglichen Berichte von alleine, wenn man unterschiedliche Medien rezipiert.
Oft ist dies auch nur deshalb notwendig, da man inzwischen die einfachsten, durch anerkannte Institutionen und NGO´s veröffentlichten Fakten ignoriert, sie auf abenteuerlichste Weise als Fake abtut oder wie es Politiker wie Scholz gemacht haben, um die eigentlich unübersehbaren Fakten herumredet und selbst schlimmste und offensichtlichste Grausamkeiten verharmlost oder gar mit historischer Verantwortung rechtfertigt. Dabei hat die deutsche Verantwortung gegenüber der israelischen Bevölkerung ein legitimes Ziel. Die Vernichtung von Antisemitismus und die Sicherheit Israels. Ob dies jemals gelingen wird, wenn Deutschland sich immerzu gegen eine offene und parteilose Benennung von Verbrechen stellt, an einer politischen Aufarbeitung der Kriegshandlungen Israels in Kooperation mit der Weltgemeinschaft ablehnt und Waffen an eine faschistische Regierung liefert? Frieden im Fall Gaza erfordert nicht nur die Bekämpfung von Terror, sondern auch das unerschütterliche politische Bewusstsein, dass auch Staaten, die in ihrer Geschichte Verfolgung und Vernichtung erlebt haben, nicht davor gefeit sind, selbst zu solchen Mitteln zu greifen. Betroffenheit schließt Verbrechen nicht aus.
Man braucht kein Studium im Völkerrecht, um die durch das israelische Militär verübten Kriegsverbrechen mit dem zu benennen was es beabsichtigt. Deutsche Politiker und Journalisten resümieren den Gaza-Konflikt übereinstimmend als unübersichtlich und komplex und entziehen sich nicht nur ihrer ethischen und politischen Verantwortung, sondern auch ihrer unschätzbaren Pflicht, dem Bildungsauftrag nachzukommen. Die sich wiederholenden und geäußerten Überlegungen, ob das israelische Militär für Kriegsverbrechen belangt werden sollte und könnte, wirken zunehmend grotesk. Verbrechen kann Israel gefährlich viel angelastet werden. Zum Beispiel die gewaltsame Vertreibung eines ganzen Volkes, die gezielte Aushungerung von unschuldigen Menschen durch militärische Sperrungen der Hilfskorridore, der wiederholte tödliche Angriff auf Ärzte, Aktivisten, Journalisten, Flüchtlingslager und Krankenhäuser, die Inhaftierung oder Tötung von Minderjährigen und neuerdings auch der Plan, die Palästinenser in abgegrenzte Lager abzuschieben. Ich denke, ich muss an dieser Stelle nicht erklären woran mich das erinnert.
All das hat man gesehen, all das wurde von dutzenden Aktivisten und Menschenrechtsorganisationen vielfach mit Videos, Fotos und detailreichen Dokumentationen festgehalten. Und trotzdem wurde unaufhörlich um den inflationär gebrauchten Begriff Antisemitismus herum debattiert, sobald man Israels Vorgehen zurecht in Richtung Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugeordnet hat. Dieser Krieg isoliert Israel zunehmend und die Regierung übersieht, dass es langfristig seiner eigenen Sicherheit und demokratischen Glaubwürdigkeit schadet und die Geschichte mit eigenen Händen in den Abgrund zieht. Es geht auch um die Sicherheit der Menschen in Israel, die mit diesem Krieg nichts zu tun haben wollen und die man auch keineswegs für das politische Versagen Netanyahus verantwortlich machen kann. Diese Menschen sind es auch, die den wachsenden Hass gegen Israelis und Juden auf ihrem Rücken austragen müssen. Tag für Tag. Verbrechen um Verbrechen. Israel wird sein Verteidigungsrecht mit seiner bisherigen Kriegschronik nicht glaubwürdig aufrechterhalten können. Nicht einmal mit der so oft hervorgehobenen Dringlichkeit, den Terror zu bekämpfen.
In Deutschland hat sich die Öffentlichkeit in der Selbstverständlichkeit gewogen, dass es sich lediglich um eine Offensive gegen den Terror handelt. Die wohlformulierte Staatsräson sollte gegen ethische Bedenken und Gewissensbisse helfen. Scholz versicherte mit sicherer Mine, dass Israel sich an das Völkerrecht hält. In welche Richtung sich diese Gelassenheit bewegt, dürfte inzwischen den wenigsten entgangen sein. Denn Menschenwürde kann und darf nicht durch den Begriff der Staatsräson ausgehöhlt oder gar in einen politisch dehnbaren Begriff umgewandelt werden, das auch noch einer schnell wandelbaren Interessenspolitik unterliegt. Verurteilungen und politische Proteste gegenüber Kriegsverbrechen kennen keinen israelischen Sonderfall, sondern sind klare politische Signale, die sich durchaus einer Auswahl an Termini bedienen darf, ohne dafür den Verfassungsschutz an den Fersen zu haben. Auf Social Media scheint sich ein Konsens zu entwickeln, der Israel alles andere als einen Opferstaat sieht. Das Narrativ eines durch und durch demokratischen Israels, dass lediglich um seine Existenz kämpft, kommt hier nicht an.
In seiner Ganzheit und politischen Dynamik beweisen Social Media Plattformen und deren Influencer und Blogger, dass Sensibilität für Menschenwürde und Völkerverständigung keine Herkunft und politische Färbung kennt. Gleichzeitig erfahren etablierte Medien und staatliche Sender hier ihre härteste Prüfung. Das ist auch gut so. Hier braucht es keinen Kriegsjuristen, der die Tötung von inzwischen über 50.000 Palästinensern als völkerrechtlich hinnehmbar formuliert und Mord und Verfolgung relativiert. Wann haben wir eigentlich den Bezug dazu verloren, dass die Tötung eines jeden unschuldigen Menschen zweifellos ein Verbrechen darstellt? Ich bin froh, dass die Macht der jungen Stimmen jenseits der medialen Oligopole ihre volle Wucht entfaltet und der sehr einseitigen Kollektivheuchelei des deutschen Journalismus die Bühne streitig macht, um den Bildungsauftrag von Medien auf den Prüfstand zu stellen. Menschen, die auch durchaus in schärferem Ton israelische Kriegshandlungen verurteilen, werden gerne in den antisemitischen Verdachtsfall abgeschoben. Wer solches in der Gegenwart immer noch unerschütterlich behauptet, dem sind die zunehmend kritischen Stimmen und Proteste von Künstlern, Friedensaktivisten, Musikern, Politikern und sogar Menschen jüdischen Glaubens aus unerklärlichen Gründen entgangen.