Keine Haltung zum Gaza-Genozid. Europa ist auf dem Weg, seine Prinzipien und Wertenormen zu verlieren
Kein deutscher Politiker hat sich seit dem militärischen Rückschlag Israels zu kriegsrechtlichen Verstößen durch das israelische Militär geäußert. Dabei müsste Europa und besonders Deutschland in dieser Sache beispielhaft vorausgehen. In der ganzen Welt machen Kundgebungen und Demonstrationen auf die Kriegsverbrechen Israels aufmerksam. Kritiker der militärischen Operationen werden hierzulande als Hamas-Sympathisanten denunziert und verurteilt. Palästinensische Fahnen werden von Polizeibeamten spontan verboten. Sogar eindeutige Feststellungen von Kriegsverbrechen durch unabhängige Menschenrechtsorganisationen werden in Frage gestellt. Was ist in Deutschland los? Im Land der Demokratie und Meinungsfreiheit.
In Europa poltert man gerne mit der Bedeutung jener Prinzipien, die man fest mit edlen und humanistischen Gedanken in Verbindung bringt und auf die ein ungeheuerliches Konstrukt aus Werten und moralischen Anschauungen, die sich von der Gegenwart bis zur Zeit der Aufklärung zurück verfolgen lassen, baut. Der Mensch steht in der Mitte, um den sich die errungenen Werte durch immer neuere Höhepunkte, herbeigeführt durch barbarischen Abgründe in der Geschichte, verstärkt haben. Es waren Verfolgungen, Religionskriege und soziale Ungerechtigkeiten, durch die sich der europäische Gedanke der Gerechtigkeit und Einigkeit herausgebildet hat. Der Humanismus ist der zivilisatorische Zenit, der als insgesamt linear betrachteten europäischen Geschichte. Sie führt von der rigiden Herrschaft der Kirchen und der Ausbeutung der Schwächeren durch privilegierte Gesellschaftsschichten, zur Achtung des Menschen als Individuum.
Dieser Mensch ist ab seiner Geburt mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet. Mit nichts anderem assoziiere ich diesen Kontinent, der für mich und sicher auch für viele Millionen andere Menschen als Festung des moralisch-humanistischen Daseins und der Menschenwürde gilt. Europa hat aus Kriegen und Verstößen gegen die Menschlichkeit gelernt. Es hat gelernt zu differenzieren, analytisch und objektiv zu hinterfragen, eigene Verfassungen und normative gesellschaftliche Gewohnheiten immer neueren Prüfungen zu unterziehen, zu sensibilisieren und politische Handlungen stets nachzubessern und anzupassen. Dass die sogenannte Staatssouveränität, die europäischen Gründungsprinzipien und damit die Verantwortung der Europäischen Union in Sachen Völkerverständigung vollkommen ausblendet, ist ein Fehler, der sich nicht mit der Begründung der deutschen Verpflichtung gegenüber den jüdischen Menschen entschuldigen lässt.
Umso mehr und gerade deshalb bin ich von der größtenteils politisch und medial getriebenen Haltung zum Gaza-Konflikt erschrocken. Ich bin fassungslos, gegenüber den verharmlosenden und einseitigen Statements politischer Größen, die sich scheinbar keiner Verantwortung bewusst sind. Ein Bundeskanzler und eine Außenministerin, die jeden Verstoß mit dem Verteidigungsrecht Israels rechtfertigen, sind echte Gefährder europäischer Wertenormen. Es finden Grausamkeiten statt, über die die genannten Politiker wissen. Im Wissen darüber unterstützen sie unaufhörlich die brutalen militärischen Operationen des Staates Israel, ohne diese zu kritisieren.
Damit machen sich deutsche Politiker zu indirekten Beteiligten dieses Verbrechens. Es ist unbestreitbar, dass im Gaza eine ethnische Säuberung und Vertreibung stattfindet. Deutschland hat seine Verantwortung und Pflicht in dieser Angelegenheit versäumt.