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Pluralismus bedeutet auch Bewusstsein schaffen

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Es ist ein nicht klar erkannter Irrtum, zu glauben, man könne demokratiefeindliche Auswüchse, die in Form abstruser ideologischer Theorien zutage treten, vollkommen besiegen. Und es ist genauso ein Irrtum zu glauben, Demokratie könne ohne konträre Weltanschauungen bestehen. Denn Identitäts- und Geltungsbedürfnisse sind nicht nur die Treiber rechtsideologischen Gedankenguts. Vielmehr erkennen Menschen darin, was sie möchten oder nicht möchten. Und nach Identität und Geltung bemühen sich nicht nur jene, die jede politische und gesellschaftliche Erschütterung für ihre eigenen Zwecke zu nutzen suchen. Auch solche, die sich die Geschichte dieses Landes vor Augen halten und sich um ein politisch unvoreingenommenes Urteil bemühen, sind in den Wettbewerb des „Erkennbar sein wollens“ verstrickt. Und dieser Wettbewerb im Zustand der chaotischen Verstrickung ist es, der zum Erstarken einer vielfältigen Kulturlandschaft führt. Ein Ideologienkampf also. Dabei gilt eigentlich: In einer pluralistischen Gesellschaft geht es nicht um Sieg und Verlust. Es geht um begreifen, Bewusstsein schaffen und weiter geben. Nur so erheben sich solche Werte und moralische Handlungsmuster, die von vielen gerne als Tugenden bezeichnet werden, über jene Anschauungen, welche wir als tatsächlich gefährlich empfinden.

Positionierung ist ein Begriff, um den man nicht kommt, wenn man im derzeitigen Geflecht aus verschwörerischen und pseudowissenschaftlichen Strömungen einige Wahrheiten verständlich machen will. Um eine ihr würdige Positionierung bemüht sich auch die Regierung, die sich derzeit Fragen muss, ob sie bezeichnende Versäumnisse zu verantworten hat. In den sozialen Medien wächst jedenfalls der einstimmige Vorwurf einer unverhältnismäßigen Corona-Politik. Ärzte und Politiker hätten fahrlässig und unbegründet Wirtschaft und soziale Ordnung gefährdet. Ob der Vorwurf stimmt oder nicht. Eines ist klar: Die Corona-Pandemie hat einen Keil zwischen Politik und Gesellschaft getrieben. Dabei gab und gibt es sie schon immer: Die Versäumnisse und kontroversen Debatten. Problematisch werden sie nur, wenn sie in ein Kreislauf ewig anmutender Ambivalenzen und einer gefährlichen innerpolitischen Verstrickung münden. Gefährlich deshalb, weil sie solchen Gruppierungen Futter liefern, die es schon immer gewusst haben wollen, dass das „System“ sich gegen eine nicht klar definierte Gruppe der Bevölkerung verschworen hat.

Nur wenige politische Entscheidungen und Agitationen sind nicht mit coronarelevanten Fragen behaftet. Das Virus bestimmt alle Bereiche des Lebens und funktioniert lediglich mit der auferlegten Schablone des Corona- Normativs. Eine Konstellation die unsicher macht. Sie bringt uns Ungewohntes bei, lehrt uns die Empfindlichkeit unserer sicher geglaubten gesellschaftlichen Ordnung, um uns dazu zu treiben, feste Begriffe für das zu finden, woran wir glauben, was uns hilft, den Weltfrieden zu erhalten. Und zwischendurch treten jene Fragestellungen, die dem aggressiven Auftreten einer wild gewordenen Avantgarde gewichen sind, wieder zum Vorschein. Wie steht es um den Rassismus in Deutschland? Sind die tragenden Faktoren unserer Ordnung, welche von wissenschaftlichen Publizisten so oft als „konstitutiv für die Demokratie“ bezeichnet werden allen Teilnehmern unserer Gemeinschaft bewusst? So einfach lassen sich diese Fragen wohl nicht beantworten. Was sichtbar ist, ist der Wohlstand. Trotz dieser Betrachtung lässt es sich nicht abstreiten, dass es dieses Jahr anders ist.

Der Wechsel zwischen invasiv auftretendem Trensetting etablierter Internetakteure und lange ungelöster politischer Fragen hat einen neuen Rhythmus. Durch Digitalisierung ermöglichte Gruppierungsdynamiken, die zur Bildung politisch relevanter Bewegungen führen, katapultieren eine seit Jahrzehnten fest geglaubte Ordnung an einen Punkt zurück, an dem eine neue Definition der Demokratie erforderlich wird. Armadas an geistigen Kriegsführern stellen sich gegen etwas, das ihnen ermöglicht hat, bis heute zu überleben, sich zu entfalten und einen eigenen Sinn für die Bedeutung des Lebens und der Freiheit zu ergründen. Wir verstehen alle, was unsere Gesellschaft ausmacht. Wir wissen über den Vertrag der Gemeinschaft Bescheid. Selbst wenn wir uns damit theoretisch nicht genau auseinandergesetzt haben. Es ist etwas, mit dem wir uns nicht gerne beschäftigen. Zu trocken, zu theoretisch, zu geschichtslastig. Denn zu oft stößt man in kleineren Strukturen und Dimensionen staatstheoretischer Abhandlungen auf Aspekte, die wir mit dem höchst individuellen Dasein verbinden.

Und an dieser Stelle ergeben sich unweigerlich Schlüsselfragen. Es sind solche, die ganze Anschauungen prägen können. Nur Menschen, die die mühsamen Wege des modernen Staatsvertrags als Ergebnis aller in Europa stattgefundenen Umwälzungen und deren begleitende geistige Meilensteine kennen, werden an solchen Fragen vorbeikommen, ohne dem teuflischen Gedanken einer zweifelhaften Verschwörung zu verfallen. Selbst Soziologen und Philosophen machen sich darin nichts vor. Denn selten haben sich staatstheoretische Dogmen eines Machiavelli oder Bacon so unerbittlich wie in unserer Gegenwart gezeigt. Es geht nicht lediglich darum, antidemokratische Begrifflichkeiten zu prägen, sondern klare Machtverhältnisse zu kommunizieren. Das Missverständnis besteht wesentlich in dem Glauben, Demokratie müsse unangetastet von antagonistischen Gedanken und Handlungen bleiben. Dass definierte Kulturen und Zivilisationen keine konservierbaren Produkte der Menschheitsgeschichte sind, wusste schon Oswald Spengler, der in seinem streitbaren Werk „Der Untergang des Abendlandes“ von den Jahreszeiten der Imperien spricht. Europa lebt in der Arroganz und unerschütterlichen Überzeugung, eine Hochkultur zu sein, ignoriert aber Gleichzeitig, dass sie damit in den theoretischen Kreislauf der Zyklentheorie fällt.

So wie sie ihre Entstehung in den schier unendlichen Phasen ihres philosophischen Reichtums feierte, so muss sie sich auch jenen Zeiten stellen, die ein abbauen und altern der gewohnten Ordnung und neue geistige Erschütterung ankündigen. Eine Zeit die sich, wenn man nach Spengler geht, herbstlich anfühlt. Nun, da die Transformation des kollektiven geistigen Zustands seinen Höhepunkt in der Corona-Krise gefunden hat, drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob es überhaupt um Corona geht. Dieser Tage kommt das dumpfe Gefühl auf, dass die Demokratie, die wir so gerne in jeden unserer ideellen und europäisch getauften Konstrukte, als rhetorischen Grundpfeiler dargeboten haben, nicht mehr als solches betrachtet wird. So als hätte man Jahrzehnte lang diese Form des gesellschaftlichen Übereinkommens walten lassen, weil man ihm keine wirksam bekämpfende und vor allem alternative Staatsform gegenüber stellen konnte. Das Volk glaubt nun auf transparente schreiben zu müssen wer sie ist. Nämlich das Volk. Und der Journalismus ergötzt sich am Aufschwung ihrer Auflagen und an ihrer neuen Rolle, Sensation und Scharfmacherei als Lösung gegen die seit Jahren stagnierende Monopolstellung der klassischen Medien einzusetzen. Der Journalismus dient als kritikloses Sprachrohr und bedient jeden Halunken der ihm Stoff für eine neue dekadente Debattenkultur liefert. Wir wollen scheinbar nicht mehr verbessern und neue Wege schaffen. Wir wollen anheizen, um schließlich mit viel Sensation zu berichten. Was bleibt ist der sinnlose Kampf der Deutungshoheit die keine Lösungen hervorbringt.

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