Meinung

Ist München wirklich so tolerant und weltoffen wie es sich gibt?

Achtung! Das ist ein Meinungsbeitrag. Wenn du damit nicht klar kommst, dann lies es nicht!

In München gibt es doch kein Rassismus-Problem. Oder?

Das wunderschöne und weltoffene München: Standort für unzählige internationale Weltunternehmen, Anziehungspunkt für Investoren und Fachkräfte aus aller Welt. Dazu lässt sich München als jene Stadt zeigen, in der die Integration nahezu perfekt funktioniert. Denn wo man auch hinsieht: Menschen unterschiedlichster Herkunft arbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen. Ob Pfleger, Architekte, Ärzte oder Polizisten. Also gibt es hier kein Rassismus-Problem oder? Vermutlich beginnt aber genau hier das Problem. Zu einfach lassen sich Perspektiven spielerisch verrücken, um eine wichtige Sichtweise harmlos oder unbedeutend erscheinen zu lassen. Nur weil keine ausländischen Mitbürger auf offener Straße drangsaliert und terrorisiert werden und niemand einem Menschen wie mir „Scheiß Türke“ hinterher ruft, bedeutet das noch lange nicht, dass der Rassismus in dieser Stadt behoben ist. Wir glauben an den Wandel in allen Bereichen des Lebens. Aber an den Wandel von gefährlichen Ideologien oder falscher politischer Haltung denken wir seltener. Dabei passen diese sich genauso an, wie der Mensch es Tag für Tag tut.

Wirtschaftliche Offenheit bedeutet nicht Weltoffenheit

Im Zuge des tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels der letzten 20 Jahre, das im Wesentlichen durch Digitalisierung, Zuwanderung und den entsprechenden (globalisierungsbedingten) Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der wachsenden Infrastruktur herbeigeführt wurden, haben sich zwar Haltungen etabliert, die eine gewisse und „arbeitsmarkttechnisch“ erzwungene Offenheit gegenüber Migration zeigen. Jedoch kann von solchen wirtschaftspolitischen Dynamiken nicht auf die eigentliche und höchst unterschiedliche Haltung der Menschen geschlossen werden. Kurz und klar: Nur weil man auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist, bedeutet das nicht, dass sie auch tatsächlich gemocht oder gar akzeptiert werden. Die Akzeptanzfrage werde ich hier nicht angehen. Zu vielfältig sind hier die Ausprägungen abhängig von sozialem Verhältnis, der Sprache und der Herkunft. Aber dennoch lässt sich ein Muster ermitteln, das mich auf einen unschönen Verdacht bringt, an der ich mit aller Kraft zu zweifeln suche. Ein Muster, das keinen anderen Schluss als den einer hartnäckigen und unerklärlichen Fremdenfeindlicheit zulässt.

Scheinbar gibt es noch genug Anlass, um über Rassismus zu debattieren

Ja, es ist richtig: München glänzt durch internationalen Flair. Vor allem in seiner wirtschaftlichen Präsenz. Eine internationale Wirtschaft ist jedoch kein zuverlässiger und abschließender Hinweis auf eine durchweg antirassistische Gesellschaft. Symptomatisch für ein bestehendes Rassismus-Problem ist für mich die Art und Weise der öffentlich geführten Debatten, die sich auf Einwanderung und Rassismus beziehen. Scheinbar gibt es doch immer wieder Anlässe, um solche überholt geglaubten Themen in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Überlegungen zu stellen. Dabei spielen sich diese Debatten nicht lediglich auf der Höhe der unerreichbar geglaubten Politik ab. Sie haben sich vielmehr in die kleinsten gesellschaftlichen Kreise durch gebohrt. Nachbarschaft, Schule, Arbeitsplatz. Und wie man es auch dreht und wendet. München hat ein tiefes Traditionsbewusstsein. Das ist auch gut so. Aber nur selten harmoniert dieser mit jener Weltoffenheit, die so sehr unter dem Eindruck des rasanten gesellschaftlichen Wandels steht. Sie will bestehen. Sie braucht Raum. Sie braucht Schutz.

Ausländer würden mit Deutschen nie über ihre Erlebnisse sprechen

Ich habe keine Studie zur Hand. Das stimmt. Aber ich habe mit vielen Menschen über ihre Eindrücke gesprochen. Was hat sie bewegt , hierher zu kommen, was sind ihre Ziele und vor allem darüber, wie sie sich fühlen. Und nicht zu vergessen: Auch ich bin Ausländer. Betroffene Menschen, und gerade solche, die neu in dieser Stadt sind, werden niemals ehrlich zu den Deutschen sein. Aber unter uns tauschen wir uns über alle möglichen Gedanken aus. Ihr könnt mich gerne der Lüge oder Übertreibung bezichtigen. Dies wäre für euch der einfachste Weg. Oder aber ihr stellt euch der alle Kräfte fordernden Aufgabe, neue Denkweisen anzunehmen und diese für euch und eure Stadt zum Besten zu nutzen, den Horizont zu erweitern und vermeintlich positive Wahrnehmungen akribisch zu überprüfen, um sie anschließend auf neue Grundlage zu stellen. Mich interessiert es, wie sich Menschen in dieser Stadt/ diesem Land fühlen. Meine Wahrnehmung und das, was aus den sozialen Interaktionen als Eindruck zurückblieb, sagt mir, dass sich neu angekommene Menschen über die verschiedenen Bildungsperspektiven freuen. Auch die politische Verfolgung und Benachteiligung gibt es hier in München zum Glück nicht. Das alles ist sehr erfreulich und mir würden die meisten zustimmen, dass dies auch der Wahrheit entspricht. Doch schon nach einem kaum dreiminütigen Gespräch konnten es die meisten Menschen nie für sich behalten.

Der Soft-Rassismus ist allgegenwärtig. Man muss ihn gut kennen.

München sei schon etwas komisch. Man nehme wahr, dass man hier nicht wirklich willkommen sei. Auf der Suche nach Wohnung erhalte man so gut wie keine Antworten und die Ausländerbehörde melde sich zum Teil über acht Wochen nicht oder Emails würden einfach nicht beantwortet. Jeder kennt die erschreckenden Bilder vor dem Gebäude des KVR in München. Bereits um sieben Uhr morgens bildete sich dort eine 300 Meter-Warteschlange. Die Stadt hat deswegen ihr Bearbeitungssystem umgestellt. Geändert hat sich trotzdem nichts. Solche Eindrücke sind es, die sich ins Bild der vorgegebenen Willkommenskultur und Weltoffenheit fügen und diese unschön verzerren. Für die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung im Jahr 2022 musste ich 5 Stunden in der Schlange warten und weitere zwei Stunden im Gebäude. Doch das sind nur die sichtbaren Dinge. Viele fühlen sich in der Arbeit nicht wohl. Man werde auf geschickte Weise ausgegrenzt oder gar gemobbt, so dass andere nichts merken. Die Arbeitskolleginnen und Kollegen würden sich eigenartig verhalten und ausländische Mitarbeiter nach „außen“ drängen. Viele fühlen sich nicht ernst genommen, wenn sie sich in die Arbeitssituation mit Ideen und Kompetenzen einbringen wollen. Man spüre jedes Mal eine eigenartige und kühle Abweisung. Bemerkenswerterweise sind es immer ähnliche Beschreibungen, die ich von den unterschiedlichsten Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern gehört habe. Der Soft-Rassismus ist allgegenwärtig.

Echte Rassismus-Debatten bleiben Peer-to-Peer-Gespräche

Natürlich hat das in erster Linie nichts mit der Stadt München zu tun. Aber es ist eine soziale Realität, die es scheinbar nicht in die Debatte um die Lebensqualität in der Landeshauptstadt bringt. Das hochpolierte Image nach außen ist reines PR-Geschwafel, solange solche Themen in Peer-to-Peer-Gesprächen verpuffen . München zeigt sich gerne als multikulturelle Weltstadt mit Herz. Mit einem mächtigen Ausländeranteil von 30 Prozent kann sie das auch guten Gewissens tun. Ich denke jedoch, dass wir, wie man es auch gerne von anderen Dingen des gesellschaftlichen Lebens einfordert, auch in Sachen Rassismus beginnen sollten, nicht immer dieselben Auslegungen und Maßstäbe zur Bewertung gesellschaftlicher Phänomene und Missstände verwenden sollten. Denn es gibt Nuancen und Abstufungen des Rassismus, über die wir uns klar werden sollten. Und diese zu kennen, erfordert Feinsinn und ausgeprägte Beobachtungsgabe. Ich finde es beinahe lustig, wenn ökologisch bewusste, vegane und aus soliden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen kommende junge Münchner mit hervorragenden Bildungsmöglichkeiten den Rassismus in ausufernden Theorien interpretieren und glauben, ihn begriffen zu haben.

Die hippen Studenten aus den reichen Münchner Vorstädten verstehen am wenigsten von Rassismus

In der unerschütterlichen Haltung, die Ursache der gesellschaftlichen Missstände bis aufs kleinste Detail erfolgreich untersucht zu haben, versuchen sie sich mittels ausgeklügelter Profilierung und ethischer Selbstoptimierung als ausgewiesene Experten hervorzutun. Dabei haben sie nicht mal den Ansatz sozialer Ausgrenzung am eigenen Leib gespürt. Nach dem Abitur machen die in Wohlstand lebenden Kinder eines durchschnittlich gut verdienenden Münchners erst einmal eine Luxuspause in Peru, Australien oder den USA, um sich vom Prüfungsstress zu erholen und darüber nachdenken zu können, welches Studium ihnen gefallen könnte. Sie erleben Kulturen, teilen ihre Weltoffenheit in den sozialen Medien und schmücken ihre Timeline mit den bunten Farben der neubayerischen Toleranz. Kurz danach glaubt jeder von ihnen zu wissen, woran die Menschheit gescheitert ist und welchen ehrbaren Pflichten sie in ihrem Leben folgen müssen.

Münchner mögen eigentlich keine eloquenten „Kanacken“

Mit solchen Menschen hatte ich genug zu tun. Und diese sind es, die es niemals begreifen werden. Ich bin durch meinen ausgefallenen und sehr wechselhaften Lebenslauf intensiv mit deutschen Familien in Kontakt gekommen. In solche Kreisen bin ich Menschen begegnet, die sich weltoffen, hipp und antirassistisch ausgegeben haben. Sobald sie jedoch bemerkt haben, dass ich mich sehr gut artikulieren kann und mich in Diskussionen als nicht belehrbarer „Kanacke“ entpuppe, hat sich ihre Haltung zu mir plötzlich geändert. Oft sind Leute bereits unzufrieden und fühlen sich vor den Kopf gestoßen, wenn ich beginne, meine politische Haltung in geschliffenem und eloquentem Deutsch zu offenbaren. Münchener mögen es nicht, wenn man als Ausländer besonders gebildet ist und sie auf ihre Denkfehler hinweist. Als Blogger habe ich diesbezüglich sehr viele unschöne Erfahrungen gemacht. Man möchte mir kaum glauben, dass ich ein Wissensblog mit über 3 Millionen Aufrufen jährlich betreibe. Man ist immer nur so nett zu mir gewesen, solange ich der ungebildete, kindlich-dumme Türke war. Viele Münchner haben es auch nicht gern, wenn man sich intellektuell erhebt und ihre Ressentiments vernichtet.

Multikultur ist ein von linken Hippstern erfundenes Wort.

Die Begriffe Multikultur und Diverstät erleben eine Phase des beispiellosen inflationären Gebrauchs. Noch nie war das Bedürfnis einer Gesellschaft nach Bekenntnis und politischer Position größer. Oder ist es nur eine künstlich verschobene Wahrnehmung? Blicken wir doch in meine Heimat. Istanbul ist eine 15-Millionen-Metropole. Dort leben Menschen aus Russland, Nigeria, Tadschikistan, Usbekistan, Ägypten und Syrien. Niemand aber verwendet das Wort multikulturell. Niemand hat ein konkretes Bild zu diesem Begriff. Man kennt es nicht einmal. In Istanbul ist es vollkommen normal, dass Menschen aus aller Welt in die Megacity strömen, um dort Fuß zu fassen. Dass die Münchner Hippster-Szene, überwiegend in Gegenden wie der Maxvorstadt, in unermüdlichem Tempo und ständig auf ihre vorgeblich „multikulturellen“ Lifestyle pocht, zeigt, aus welcher Riege dieses zum Himmel stinkende Selbstlob kommt. Man sieht sich als Teil der deutschen Verantwortung und verfällt in einen selbstsüchtigen Wettbewerb des „sich Profilierens“. Denn nichts scheint in unserer Gegenwart wichtiger, als Identität zu schaffen und das hervorzuheben, wofür man steht.

Jung, wohlständig und abenteuerlustig möchte man seine Spuren in der Zeitgeschichte hinterlassen.

Dieses egozentrische Politik- und Moralbewusstsein schafft Fronten und Gefälle. Am Ende steht man vor den Trümmern allzu polarisierender Debattenführungen. Unfähig, Neues hervorzubringen und Neues zu entdecken. Interessant sind auch die sehr charakteristischen und nach ideologischem „Zwang“ verflechteten Dogmen. Man ist rechtsradikal, wenn man sich gegen die Impfung und gegen den Krieg mit Russland ausspricht. So ist es auch mit der romantischen Vorstellung der Vorzeigebürger, die sich aus dem Wohlstand heraus ins Abenteuer des politischen Daseins begeben und sich an allerlei neuen Möglichkeiten der Selbstdarstellung ausprobieren. Jung, wohlständig und abenteuerlustig möchte man seine Spuren in der Zeitgeschichte hinterlassen. Wertvolle Bücher anprangern, Lieder verbieten, den Begriff Rassismus neu prägen. Aber die einfachsten Dinge sind sie nicht in der Lage zu verändern. Nämlich den Rassismus im eigenen sozialen Umfeld, den Rassismus, der perfide ist, weil er kaum auffällt. An dieser Stelle hört mein Wort auf. Ich überlasse euch den Rest der fortführenden Gedanken.

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