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Das echte Gesicht von Jesus

Britische Forscher um den Forensiker Richard Neave haben das Gesicht von Jesus rekonstruiert. In einer interdisziplinären Forschungsarbeit mit Genetikern, Archäologen, Paläoanthropologen und Humanosteologen, gelang den Forschern eine Nachbildung, die auf weitgehend wissenschaftliche Anerkennung stößt. Aber das bisher von der Kunst bestimmte Gesicht Jesus` ist auch ein Zeichen des dogmatischen Symbolismus, das sich durch die gesamte Kunstgeschichte zieht. Ihr Ziel: Identitätsstiftung.

„Das letzte Abendmahl“ Da Vincis aus dem 15. Jahrhundert, „der Gelbe Christus“ des Malers Gaugin (1898) , „Ein Christus nach dem Leben“ von Van Rijn (1648) und der „gekreuzigte Christus“ des Malers Velazquez (1632) haben über Jahrhunderte das Bild eines unter anderem mystisch behafteten Mannes geprägt, zu dem sich die urchristlichen Belege weiterhin bis auf einzelne Erwähnungen im Tacitus und bibelwissenschaftliche Erkenntnisse beschränken. Das Bild von Jesus durchzieht alle Epochen der Kunstgeschichte, die für das nahezu unverrückbare Bild von Jesus verantwortlich ist. Die Einflüsse der Kulturen und Traditionen der Künstler können tiefgreifend sein, sagt auch Carlos F. Cardoza-Orlandi, außerordentlicher Professor für Weltchristentum am Columbia Theological Seminary in Atlanta. Entgegen der raren Auswahl an wissenschaftlichen Belegen zu Jesus` Leben wirkt sein Einfluss auf die westliche Identität geradezu paradox. Kunst, Literatur und Film. Der Messias durchzieht die gesamte Entstehungsgeschichte des Abendlandes und prägt in der Gegenwart die Weltanschauung von 2,2 Milliarden Menschen.

Die frohe Botschaft brauchte ein dieser Aufgabe „würdiges“ Gesicht

Zweifellos hat Jesus Aufsehen erregt, welches ihm durch einige Philosophen und Geschichtswissenschaftler abgesprochen wird, weil sie die Geschichte anzweifeln. Der deutsch-tschechische Philosoph und Politiker Karl Kautsky stellt in seinem epochalen Werk „Der Ursprung des Christentums“ fest, dass das uns bekannte Jesus-Bild auf keinen Fall ein solches Aufsehen erregt haben kann, welches ihm die leidenschaftlichen Anhänger seiner bewegten Lebensgeschichte zuschreiben. Schlank, langhaarig, mit sanft blickenden hellen Augen und gebrechlicher Statur. Jesus ist das Ur- und Sinnbild der Unschuld und unberührt von menschlicher Fehlbarkeit. Ein Erscheinungsbild, das seinem Ruf gerecht wird. In der christlichen Welt ist der Wanderprediger und Zimmerer aus Galiläa eine Realität aus der fernen und ungreifbaren Geschichte. Jemand, der Erlösung und Rechtleitung versprochen hat. Und die frohe Botschaft brauchte ein Gesicht, das seiner Aufgabe würdig war. Die Figur Jesus steht offensichtlich als westlich geprägtes Menschenbild einem ebenso westlich geprägtem Weltbild zur Verfügung. Auch wenn er sich womöglich dagegen gewehrt hätte, dient der schöne Jesus eines europäischen Weltverständnisses nur Jenen, die sich mit diesem auch identifizieren können und möchten. Angeeignet, zurecht geformt, passend gemalt. Aber ein Geheimnis lässt bislang keine Ruhe. Wie sah Jesus in Wirklichkeit aus?

Ein beeindruckendes Werk aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, interdisziplinärer Zusammenarbeit und technologischem Fortschritt

Im Dezember 2002 veröffentlichte Popular-Mechanics einen Artikel unter dem Titel „The Real Face of Jesus“ und gewährte einen interessanten Blick auf das Gesicht der wohl bekanntesten historischen Figur der Menschheitsgeschichte. Seitdem hat die Wissenschaft Gesichter von Menschen aus der Steinzeit bis hin zu europäischen Königen nachgebildet. Die Rekonstruktion des Gesichts von Jesus durch Richard Neaves, einem Forensik – Experten und Medizin-Künstler an der Universität in Manchester ist ein beeindruckendes Werk aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, interdisziplinärer Zusammenarbeit und technologischem Fortschritt. Richard Neave, der Co-Autor von Making Faces: Using Forensic And Archaeological Evidence, hatte in den letzten zwei Jahrzehnten dutzende berühmter Gesichter aus der Menschheitsgeschichte rekonstruiert. Trotz der Tatsache, dass das rekonstruierte Gesicht Jesus streng genommen mehr das Ergebnis eines künstlerischen Schaffens ist, lassen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in die Arbeit von Neaves und seines Forscherteams eingeflossen sind, den Schluss zu, dass Jesus Gesicht sehr wahrscheinlich mit der Rekonstruktion des britischen Forscherteams übereinstimmt. Das Forscherteam um Neaves hat mit Hilfe von zur Verfügung gestellten Schädeln, die aus wissenschaftlicher Sicht typischen Gesichtsformen von Menschen aus Galiläa ähneln, untersucht. Analysen von relevanten Skelettresten brachten hervor, dass der durchschnittliche Körperbau eines semitischen Mannes zur Zeit Jesu ca. 150 cm betrug und ein Durchschnittsgewicht von etwa 55 kg hatte.

Die meisten Bibelwissenschaftler widersprechen der künstlerischen Darstellung Jesus`

Geht man von den Überlieferungen aus, muss Jesus als Zimmerer auch viel kräftiger und fitter gewesen sein, als es bisherige Bilder aus der Kunst zulassen. Auch das Matthäusevangelium gibt Indizien dafür, dass Jesus kein auffälliger hochgewachsener Mensch gewesen sein kann. Jesus musste seinen Jüngern ähnlich gesehen haben. Denn: Judas musste, als Jesus vor der Kreuzigung im Garten Gethsemane festgenommen wurde, den Soldaten zeigen, wer Jesus war, weil sie ihn nicht von seinen Jüngern unterscheiden konnten. Für Neaves und sein Team war damit klar, dass Jesus Gesichtszüge typisch für die galiläischen Semiten seiner Zeit gewesen sein müssen. Und so bestand der erste Schritt für Neave und sein Forschungsteam darin, Schädel aus der Nähe von Jerusalem zu erwerben. Mit drei gut erhaltenen Exemplaren aus der Zeit Jesu in der Hand, verwendete Neave Computertomographie, um „Röntgenscheiben“ der Schädel zu erstellen und winzige Details über die Struktur jedes einzelnen zu enthüllen. Aus diesen Daten erstellte die Forschergruppe eine digitale 3D-Rekonstruktion des Gesichts. Zwei Schlüsselfaktoren jedoch konnten anhand des Schädels nicht bestimmt werden – das Haar und die Farbe Jesu. Für diese wurden Zeichnungen aus archäologischen Stätten aus dem ersten Jahrhundert verwendet. Gezeichnet vor einer Zeit, als die Bibel zusammengestellt wurde. Aus diesen Zeichnungen ging auch die Annahme hervor, dass Jesus eher dunkle als helle Augen hatte. Ohnehin widersprechen die meisten Bibelwissenschaftler vielen markanten Erkennungsmerkmalen in der weit verbreiteten Jesus-Darstellung. So auch den langen Haaren wie es auf dem Grabtuch von Turin zuerkennen ist.

Apostel Paulus beschrieb lange Haare an Männern als „schändlich“

Ein weiteres Indiz, das die wissenschaftlichen Ergebnisse untermauert, sind Stellen in neutestamentlichen Büchern, die ziemlich deutlich auf die Haarkultur seiner zeit eingeht. Im 1. Korinther, das dem Apostel Paulus zugeschrieben wird, erwähnt dieser, dass er Jesus gesehen habe und beschreibt später lange Haare bei einem Mann als schändlich. Trotz allem: Allgemein seien Gesichtskonstruktionen auf Basis der Forensik mit Vorsicht zu betrachten. Dass dies nicht exakt wissenschaftlich ist, betont Alison Galloway, Professorin für Anthropologie an der University of California in Santa Cruz. Denn die Details würden dem Weichgewebe über dem Muskel folgen. Hierin würden sich die Forensiker in ihrer Technik unterscheiden. „In einigen Fällen kann die Ähnlichkeit zwischen der Rekonstruktion und dem tatsächlichen Individuum unheimlich sein“, sagt Galloway. „Aber in anderen kann es mehr Ähnlichkeit mit den anderen Werken desselben Künstlers geben.“ Neaves Rekonstruktion des Gesichts von Jesus sei trotz aller Vorbehalte, die von forensischen Methoden ausgehen, sehr nah an der Realität.

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