MeinungPolitik

Die immergrüne Wut

Eine neue deutsche Kultur der kollektiven Revision, Belehrung und überkorrekten sprachlichen Reformen

Und wieder einmal fühle ich mich durch die polarisierende politische Stimmung hierzulande genötigt, die Nacht mit schreiben zu verbringen. Über cancel culture möchte ich eigentlich gar nicht schreiben. Muss ich auch nicht. Als Beispiel lässt sich alternativ der neue Kapitulaltionstrend deutscher Unternehmen und bekannter Persönlichkeiten heranführen. Wenn deutsche Unternehmen sich jedem kleinen ideologisch motivierten Aufschrei einer verschwindend kleinen Gruppe politisch radikalisierter Besserwisser ducken und dabei Unternehmensphilosophie und gelebte Grundwerte plötzlich in Frage stellen, als ließen sie sich zu einer neuen erleuchtenden Religion bekehren, gibt einem das in vielerlei Hinsicht zu denken. Nichts fürchtet ein Unternehmen heute mehr als den vernichtenden kunterbunten Shitstorm, der, auf die Ereignisse in der letzten Zeit blickend, jeden zu überfallen droht. Eine neue deutsche Kultur der kollektiven Revision, Belehrung und überkorrekten sprachlichen Reformen, verkoppelt und vernetzt mit einhergehendem Weltgefühl einer globalen Mission, alle vermeintlich oder tatsächlich benachteiligten Gruppierungen zu retten und zu schützen. Eine bis in den eigenen Kühlschrank reichende und die Geschicke sozialer Bindungen formende, konstituierende, autokorrektive, hypersensible und cholerisch veranlagte Streit- und Debattenkultur, die im Zorn ihrer grünfanatischen Vision schon alles weiß und gewusst haben will. Man schickt seine Bluthunde los, um Rassismus zu finden, selbst da wo er nicht sein kann. Und selbst wenn die mutmaßlich betroffene Gruppe kein Rassismus erkennt, schießt man schon aus Tradition scharf, um eigene Fehlgriffe zu übertönen.

Es gibt keine Generation, die ihre Unsicherheit so offensichtlich zu erkennen gibt wie die Z-Generation.

Neu ist auch der wahrzunehmende Griff nach politischer Souveränität und Meinungsmacht. Unbedingtes Recht haben, statt politische Interaktion. Schadhaftes Polarisieren, statt kooperatives und synergetisches Wirken. Eben wie es oft durch die Grünen praktiziert wird. Man steht unverkennbar zu politischer Korrektheit und Emanzipation auf allen Ebenen des Lebens. Das wohlklingende Wort Emanzipation ist in viele unschöne Richtungen dehnbar, weil sie den Begriff der unbedingten Freiheit impliziert. Und wer die emotionale Dimension dieses Begriffs nur aus der Erfahrung Dritter oder aus dramatischen Bestsellern kennt, nutzt sie eher für politischen Radau, als für Visionen langfristiger Lösungen. Unterstützung findet diese politische Schimäre in der sich zu allem fähig fühlenden Jugend der Gegenwart. Es gibt keine Generation, die ihre Unsicherheit so offensichtlich zu erkennen gibt wie die Z-Generation. Man möchte jung und radikal in die Geschicke des Landes eingreifen. Gleichzeitig ist das Arbeiten eine obsolete marktwirtschaftliche Tradition. Historische Fragmente aus der Hochzeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die zwanghafte politische Vision einer langersehnten Hegemonie und immerkorrekten Welt ist nicht auf das Handeln im Sinne der Ursache-Wirkung-Theorie ausgerichtet. Sie will vor allem laut sein. Das Parteiprogramm der Grünen steckt voller Reizwörter und utopischer Fantasien. Es gibt kein Lebensbereich, das sich nicht in absehbarer Zeit mit rücksichtslosem Aktionismus ändern ließe.

Die Klimapolitik ist ein Multiwerkzeug der Interpretationen. Ein Arsenal von Totschlagargumenten aus Rassismus- und Diverstätskeulen.

Ungern gebe ich mich als Experte aus. Aber bei den Grünen fällt mir dann doch so einiges ins Auge. In dieser Partei steckt die Seele jener Menschen, die die 90er ganz anders oder gar nicht erlebt haben, im Gegensatz zu meiner Familie und mir. Die Komplexität dieser Zeitumstände ließe sich niemals auf einen einzigen Artikel bringen. Nur so viel: Vereint wird die Haltung grünen Denkens durch eine tief verwurzelte Kultur der Enttarnung von Ungerechtigkeiten, die sie auf Jahrzehnte der falschen und profitorientierten Politik zurückführen. Auch die deutsche Literatur kommt immer schlechter weg. Die Klimapolitik ist ein Multiwerkzeug der Interpretationen. Ein Arsenal von Totschlagargumenten aus Rassismus- und Diverstätskeulen. Ihre Vertreter sind Akademiker mit musterhafter, wohlbehüteter Jugend. Nach dem Abitur erst mal eine Reise nach Südamerika oder Australien. Man hat ja genug Zeit, sich für ein Studium zu entscheiden. Danach zieht man mit großzügiger Hilfe der Eltern aus, wohnt während des Studiums in sündhaft teuren Gegenden und unterhält sogar noch ein Kleinwagen. Später am Ende der Karriere kann man sich als Experte für Rassismus- und Klimafragen ausgeben.

Über diese Moralgedusel und die unvermittelten Gefühlserruptionen kann ich nur lachen

Wir, die Kinder hart arbeitender Gastarbeiter und SPD-Unterstützer. In der Brotzeitbox die Aldi-Semmeln. Die Bildungsmöglichkeiten beschränkt. Eltern nix deutsch können. Und immer diese Blicke, ganz egal wo man hingeht. Wie oft haben deutsche Menschen uns Kanake hinterher gerufen, meine Eltern mit harten Schneebällen beworfen. Wir wussten nicht einmal dass es Rassismus ist. Wir dachten uns nur, die mögen uns nicht. Witzig oder nicht? Aber die Kreativität junggrüner Anhänger beeindruckt selbst Türken wie mich. Und deshalb kann ich über all dieses Moralgedusel und die unvermittelten Gefühlserruptionen lachen, wenn ich nur höre, wie junge Grüne versuchen für Gerechtigkeit einzustehen. Ohne uns zu fragen worauf es ankommt. Sorry, das ich gerade ziemlich abgedriftet bin. Es ging ja um Unternehmen, die sich von Teilzeitaktivisten geißeln lassen. Dass Unternehmen und elitäre Oligopole in Wirtschaft und Medien als das Übel der Stunde und Motoren der Klimakatastrophe gesehen werden, ist in jeder demokratisch verankerten Haltung in gesundem Maß vorhanden. Alles über dieses Maß hinaus ist die, sagen wir mal regulierende Linke. Jene politische Ausrichtung, bei der es keine große Kunst ist, plötzlich in der rechten Riege gesehen zu werden. Und natürlich muss es auch schurkenhaften Antagonisten und die selbsternannten Klimaretter und Sprachpolizisten geben. So formt sich letztendlich die Demokratie. Aber am Ende muss es möglich sein, das Instrumentarium Politik im Sinne der Demokratie und der friedlichen Gemeinschaftlichkeit zu nutzen. Und für diesen Weg müssen wir zuhören und miteinander reden. Hören was andere dazu sagen. Auf der bundespolitischen Bühne, weicht diese Notwendigkeit immer mehr den blinden und voreingenommenen Handlungen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert