Feuilleton

Du bist was du hörst

 

Der soziale, psychologische und zivilisatorische Hintergrund des Musikgeschmacks beschäftigt Soziologen schon seit Jahrzehnten. Was steckt hinter den Musikrichtungen und den damit oft assoziierten  sozialen Schichten?

 

Jeder ist bestimmt einmal der pauschalen Äußerung begegnet, dass man bestimmte Kreise der Gesellschaft mit bestimmter Musik assoziiert. Der soziale Status wird oft über den gehörten Musikstil zum Ausdruck gebracht. Hält man dies für ein Klischee muss man nur nach Berlin oder Köln und sich in sogenannten „Problembezirken“ umschauen bzw. umhören. Hier wird zumeist Rap-Musik gehört. In Kreisen mit höherem Einkommen und gehobenem sozialen Status wird gerne Klassik gehört. Die Musik als prestigeträchtiges und soziales Aushängeschild nimmt einen großen Bereich im für uns heute selbstverständlichen Individuum ein. Ob der Musikgeschmack tatsächlich etwas über eine Person aussagt, oder wir lediglich über unsere verfestigten Vorstellungen ein Profil zu erkennen glauben ist eine Frage für dessen Antwort man weit in die Geschichte der Musik zurückblicken müsste.

Der französische Soziologe Pierre Bordieu war es der die Musikstile den sozialen Schichten zugeordnet hatte. Diese Gedanken schrieb er in seinem Werk Die feinen Unterschiede von 1979 nieder in dem er äußerte, dass der Geschmack vor allem von der Gesellschaft geprägt wird. Seine Schilderungen waren durch eine Langzeitstudie gestützt. Selbst wenn die Annahme über den sozialen Status und dem Musikgeschmack nicht ganz unwahr ist, gibt es auch hier keine klaren Regeln. Oft hören Klassikliebhaber Rock und Rockfans hören heimlich Schlager. Ein Forscherteam um Melanie Wald-Fuhrmann am Max-Planck-Institut hat das Phänomen musikalischer Vorlieben untersucht. Neben Rap-Musik wird heute auch Schlager und volkstümliche Musik mit niedrigem Bildungsniveau verbunden.

Bei Rap haben wir den besonderen Fall, dass dieser Musikstil in sozialen Schichten gehört wird die sich weltweit gut vergleichen lassen. Das Max-Planck-Institut geht anders vor als der französische Soziologe es tat. So sieht der Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut Paul Elvers neben dem soziologischen Aspekt auch einen psychologischen. Elvers bringt musikalische Vorlieben mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. „Es gibt beispielsweise Studien, die versucht haben, einen Zusammenhang zu finden zwischen sensation seeking, also Sensationslust, und der Vorliebe für Rockmusik. Wohingegen Klassik- und Jazzhörer eher mit Beschäftigungen in Verbindung gebracht werden, die ruhig oder kontemplativ sind. Die Ergebnisse sind gemischt, es gibt Studien, die zeigen Zusammenhänge, es gibt Studien, die finden eher keine.“ erklärt Elvers. Der Musikgeschmack aus der Kindheit bleibe für die meisten Menschen zeitlebens prägend.

Melanie Wald-Fuhrmann vergleicht die musikalische Sozialisation mit dem Spracherwerb: „Das ist wie eine musikalische Muttersprache. Die meisten bleiben dem Musikgeschmack ihrer Kinder- und Jugendjahre treu, weil es einfach viel Spaß macht, sich mit etwas zu beschäftigen, das man gut kennt und in seinen Erfahrungshorizont einbetten kann,“ und kommt damit zum Punkt des sozialen Status, “ Allerdings ist zu beobachten, dass sich das Hörverhalten mit dem sozialen Aufstieg ändern kann.“ In der Abteilung für Musik des Max-Planck-Instituts möchte man die Ursachen der Geschmacksbildung verstehen. Die Frage führe von dort aus weiter in die Vergangenheit und finde ihren Anfang in den Grundfragen der Ästhetik. Und der Begriff Schönheit läuft mit der Zeit mit. Es ist im Wandel. Genauso wie auch Hörgewohnheiten den fundamentalen Wandel der letzten zwei Jahrzehnte abbilden. Sie wird in der Soziologie als zweite Moderne bezeichnet.

Angetrieben von Globalisierung, Wirtschaft und Kultur. Traditionelle Werte gingen in einer schnelllebigen und an Angeboten und Vielfalt zunehmenden Gesellschaft verloren, so die Wissenschaftler. Oder so: Die Welt scheint im Zuge des Zusammenwachsens einen weitgehend einfachen Menschen zu gestalten. Dennoch kommen wir zur Individualisierung. Doch welche Rolle erfüllte Musik in der Vergangenheit? Musik ist ein Kulturgut das in unseren Vorstellungen und Ansichten eine Art Schablone der sozialen Zugehörigkeit verfestigt hat. Ähnlich wie die Hochkulturen aus der Antike definieren wir unsere eigene Weltsicht über die Kunst der Klänge und Rhythmen. Irgendwann wurde die Musik zur autonomen Kunst und war in der Lage alles was die Schöpfung des menschlichen Geistes hervorbrachte in sich einzuverleiben. So flossen die Lyrik, der Tanz und das damit verbundene Lebensgefühl in die Kunst der großen Gefühle mit ein. Im engen Zusammenhang mit der Muse stehend, deshalb „Musenkunst“ ist sie ein Bereich des geistigen Bedürfnisses der sich dem Menschen erst öffnen muss. Zu Anfang stark durch starre Richtungen wissenschaftlicher Bereiche geprägt, galt die Musik als Ausdruck zur Nachstellung der Ordnung in der Natur. Zur Zeitwende der Französischen Revolution begleitete die Musik die emotionale Aufbruchstimmung einer gefühlsbetonten Lebenseinstellung und bewegte sich vom Rationalismus hin zum Individualismus uns Subjektivismus. Unter der später sich entwickelnden politischen und wirtschaftlichen Dynamik erscheint sie raum- und zeitlos und dringt in den Geist jener die es zulassen, als eine in der menschlichen Seele manifestierte undurchdringliche Gestalt der Begierde.

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