Feuilleton

Der deutsche Journalismus etabliert eine gefährliche Kollektivstimmung

Was bedeuten Meinungsvielfalt und Pluralismus in einer Gesellschaft, die unter dem Eindruck eines auf allen Ebenen tiefgreifenden Ereignisses wie der Corona-Pandemie steht? Abhängig ist das vom politischen Umgang mit Krisen und dem gesellschaftlichen Verständnis für Toleranz und Offenheit. Aber am Anfang stehen Schlüsselbegriffe, die die Säulen einer etablierten und unbestreitbar geltenden Konsensmeinung bilden. Erschaffen von Massenmedien. Wie gefährlich ist das?

Pluralismus ist ein Begriff der kunstvoll aus seiner starren ursprünglichen Bedeutungsherkunft in nahezu alle Lebensbereiche einer offenen und rasant wandlungsfähigen Gesellschaft Eingang gefunden hat. Und es sollte Pflicht sein, diesem Begriff, durch die sich erweiternden sprachlichen Anwendungsmöglichkeiten, zu einem Postulat für eine demokratiekonforme Anschauung und Debattenkultur zu verhelfen. In Musik und Film wäre es die Genre-Pluralität, unter dem man die Selbstverständlichkeit ausdrücken könnte, die Machart von Musik und Film aus den gewohnten normativen Konzepten zu lösen, um Trends zu etablieren und neuen Richtungen als Inspiration zu dienen. Oder in der deutschen Küche, wo mediterrane und orientalische Einflüsse längst unabdingbarer Teil einer bewussten und ausgeglichenen Ernährung geworden sind.

Die adaptionsfähigkeit ließe sich durch viele weitere Kombinationen in Paarung mit dem hinzugefügten Begriff -pluralismus fortsetzen. Doch Ernährungstrends erscheinen nicht nur in der so oft verteufelten Medienrealität als Paradebeispiel einer pluralistischen Lebenshaltung. Schon der Kochende selbst fühlt die Vielfalt. Die Idee des Pluralismus befällt derzeit jede noch so in die politische Peripherie geratene Ausgeburt eines sozialen Missgeschicks. Mal ist es die aus der Grammatik heraus brüllende Sexualisierung oder auch mal die Überreste eines aus vergessenen Zeiten gebliebenen Rollenverständnisses. Man möchte die Vielfalt gegen alle sich starr erweisenden Strukturen durchsetzen. Und wenn man dafür die Sprache der Poesie auf den Kopf stellen muss. Dabei muss nicht jeder Versuch einer neuartigen, zumindest sprachlichen Pluralisierung einer tatsächlich einleuchtenden Sinngebung folgen.

Der Begriff der Vielfalt verliert sich in einem sprachkulturellen Krieg, der das Imperativ der unbedingten Unterwerfung gegen noch so jede neue Wortbildung in sich trägt. Die bunte Küche scheint freiwillig. Aber auch dort herrscht Zwang. Jener Zwang, der das nach außen drängende Signal des erleuchteten Weltenhippies nach außen drängt. Man möchte ja Signale setzen. Die Küche der verschiedenen Farben geht mit dem Wusch einher, Vielfalt zusammenzuführen und Neues zu kreieren. Kaum zu machen, wenn man eine multikulturelle Haltung ablehnt. Dabei erweist sich die Küche der Welteinflüsse als resistent gegen jedweden Versuch Hass zu tolerieren und strotzt gegen noch so jeden aufbegehrenden Rechtspopulismus. Damit wird klar, dass der „sättigende“ Pluralismus mehr als ein Sympathisieren mit einem Salat ist, das mit indischem Joghurtdressing besonders gut schmeckt. Vielmehr ist es eine sich fast aufdrängende Evidenz in die Sinnhaftigkeit einer bunten Gesellschaft.

Ich wollte nicht zu sehr ins Kulinarische abschweifen. Als weiteres Beispiel wären da die Medien, die in der Zusammenwirkung verschiedenster Formate und Meinungen nicht nur einen Bildungsauftrag erfüllen, sondern daneben auch der Sicherung einer pluralistischen und unabhängigen Debattenkultur dienen sollten. Alles möglich durch die mächtige journalistische Schöpfungskraft der oben erwähnten Medienrealität. Und jedes Medium das sich aus dieser unverrückbaren Wahrheit keinen individuellen Auftrag der gesellschaftlichen und ethischen Verantwortung, Stichwort Redaktionsstatut, ableitet, hat sich der von Digitalität ausgehenden, nahezu unwiderstehlichen Kraft der Gunst der Reichweite ergeben. Und dieser gefährliche Sog aus Aufmerksamkeit und Politikgefälligkeit bildet die Grundlage einer journalistischen Knechtschaft, in dem das Nachbeten jeder noch so politischen Entscheidung und Handlung zur alles bestimmenden Aufgabe eines Journalisten wird. Der Meinungspluralismus als Knochenmark einer lebendigen Demokratie und wichtigster Auftrag journalistischen Wirkens wird nicht nur gefährdet, sondern geradezu gegen Willkür und Interessenhandlung eingetauscht.

Doch wie kann es dazu kommen? Meistens wenn der Journalismus zwischen vorherrschenden und konträr zueinander stehende Fronten innerhalb eines gesellschaftlich tiefgreifenden Wandels geriet. Das kann eine sich gegenseitig bedingende Aggressivität zwischen Politik und Bürger sein. Oder gescheiterte Putschversuche, mit Folgen eines um sich schlagenden Staatsapparats. Aber auch unvorhergesehene Ereignisse, wie Pandemien, in denen zu Anfangs mehr Unsicherheit als Zusammenhalt herrscht. In beiden, das hat die Geschichte bewiesen, ist der Pluralismus, welcher Art auch immer, in besonderer Weise gefährdet. Und immer, dabei ist es unbedeutend unter welchen Umständen, sollte der Journalismus keine Angst zeigen, verschiedenste ideologische Auswüchse aus der Sicht der journalistischen Verantwortung zu betrachten. In Deutschland ist diese Verantwortung unter dem Begriff der Sorgfaltspflicht durch die formgebenden Erfahrungen des nationalsozialistischen Regimes geprägt. Und gerade dieser historische Hintergrund verleiht dem deutschen Journalismus einen für die Demokratie in besonderer Weise konstitutive und speziell ausgeprägte Rolle.

Der Journalismus als Sprachrohr der Wissenschaft genoss bis zum Ausbruch der Pandemie die vermutlich gesellschaftlich höchste Anerkennung als unzerbrechliche Achse des Vertrauens, das kohärent mit Objektivität und Parteilosigkeit in Erscheinung getreten ist und als eine Art Imperativ galt, mit dem sich ein in sich stimmiges gesellschaftliches Gleichgewicht definieren lies. Nun ist sie vom Sensationswahn und der Sucht des pathetischen Wortüberbringens gefangen. Der Journalismus torkelt zwischen Wissenschaft und Rezipient, auf der Suche nach dem immer neuen Hochgefühl der Sensation. Und dazu braucht es einschneidende Begriffe und antagonistische Lager. Kritiker sind Querdenker oder Scharlatane. Menschen die sich durch eigene Recherchen Wissen zum Virus aneignen, um zurecht mitdiskutieren zu können sind „Pseudovirologen“ oder „Coronaleugner“. Sich kritisch dazu zu äußern wird durch die Ausgrenzung eines medialen Lynchmops bestraft. Und den etablierten Medien liegt die Idee, dass Menschen bei solch tiefgreifende gesellschaftlichen Ereignissen zu Recht kritisch werden, fern. Und das sie das dürfen, noch ferner.

Im Dritten Reich haben Querdenker die Menschheit vor einer vielleicht ewigen Naziherrschaft befreit. Sie dachten anders über das Recht und die Menschenwürde. Sie dachten im Verhältnis zur Mehrheit quer. Und deshalb gilt, anders denkende Menschen nicht mit falschen Begriffen zu denunzieren. Jeder muss die Gelegenheit erhalten, seine Bedenken frei zu äußern, ohne einer Kategorie zugeordnet zu werden, solange die Bedenken berechtigt sind und die Diskussion sinnvoll ergänzen. Der Begriff Querdenker ist genauso gefährlich wie entartete Kunst. In beiden wurden Gruppierungen oder eben Kulturgüter verunglimpft und denunziert, die mit ihrer geistigen Haltung konträr zur überwiegenden Meinung standen. Diffamieren war die höchste Kunst des machtbesessenen Unterjochens.

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