Meinung

Ein Selfie für die Bedeutungslosigkeit

Vergilbte Bilder sind akut bedrohte Zeitzeugen. Der Blick in eine stehengebliebene Welt die apokryphisch und kontemporär zugleich ist, wird dem menschlichen Drang nach einer ungekannten Welt nicht mehr länger dienlich sein können. Zur sehr rast die Zeit durch ein geschichtlich erzwungenes Fragment der Selbstdarstellung mit digitaler Seele. Wir wollen etwas sein, das wir nicht zu beschreiben in der Lage sind. Und sukzessive verliert der Moment an Nachhaltigkeit, Eindruckskraft und Lebensrealität. Eine schier unbeschreibliche Angst vor der drohenden Bedeutungslosigkeit, die uns durch die Linsen der Vergänglichkeit peitscht und das Zeitgefühl zu einem pathologischen Grundgefühl des Daseins verkommen lässt.

Vollkommen entseelte Bilder, die nicht mehr unter tief blickende und durch die Entelechie der Sehnsucht erstarrten Augen kommen, sind ihrem künstlerischen oder sagen wir mal fotografischem Ursinn beraubt. Die Nostalgie ist eben doch mehr als ein bloßer unerträglicher Eindruck in der Gegenwart eines vernichtenden Gefühls, Dinge nicht mehr zurückholen zu können. Es ist ein Gefühl, das die hochgelobte und geradezu ausgestorbene Muse zum Beginn ganzer revolutionärer Umwälzungen ermutigt hat. Etwas, das mit dem Gedanken der Entschlossenheit, des Willens beginnt. Bilder von einst haben die Fähigkeit die unermüdlich rasenden Eindrücke der modernen zeitgeistlichen Popkultur zum Stehen zu bringen, Vertiefungen zwischen Empfindung und Gegenwart zu schaffen und somit die Gesetze der Zeit in Frage zu stellen.

Und ich bin sicher, dass diese immer spürbare Tatsache nicht nur für Bilder aus der Jugend der Großeltern gilt. Die schmutzigen Farben eines gelebten Lebens aus den Tiefen der Renaissance, in dem Nacktheit, nasse Lust und geistige Meilensteine neue Momente der Weltgeschichte schufen, haben sich als Gestalten einer beispiellosen Geschichtsschreibung verewigt. Diese Farben trotzen noch heute dem erbarmungslosen Todesurteil der Zeit und ragen mit unverwechselbarer Brachialgewalt in die geistigen Prozesse im Hier und Jetzt. Doch dahin kommen die Bilder eines technisch perfekt abgestimmten Mobiltelefons, mit der Absicht die in Egoismus ausgeartete Individualität bis ins Exzess zu zelebrieren, nicht mehr hin. Verglichen dazu sind solche Bilder, jene vergilbten und sprachlosen, so etwas wie Eindrücke eines vergangenen Lebens, die Verursacher transzendentaler Gedankengänge und konsequenterweise auch der hohen Kunst des Nachsinnens.

Gerade weil sie unwirklich erscheinen und das Spiegelbild unerfüllter Sehnsüchte in ungeahnte Dimensionen treiben, befruchten sie die wohl menschlichste Krankheit die es gibt: Die Vorstellung von einer kompromisslos besseren Zeit. Eine Zeit, in der alles Unerwartete möglich war. Geradezu paradox. Denn nichts wünschen wir uns mehr als Vorhersehbarkeit. Am liebsten konstruieren wir unsere Geschicke so, dass jedwede Abweichung mitberechnet und Unsicherheit vollkommen ausgeschlossen werden kann. Auch früher war der Hang zur völligen Kontrolle nichts, was den zu seiner Zeit in andauernder Gefahr lebenden Vordenkern unbekannt gewesen wäre. Machiavelli zum Beispiel, der als unbedingter Realist galt, erkannte die Wirklichkeit der politischen Umtriebe.

Brutalität und Rücksichtslosigkeit war das Gesicht erfolgreicher Politik. Die Loslösung der Moral von politischen Interessen ist so ein vergleichbarer Prozess, wie das Bild ohne die sichtbaren Narben seiner jeweiligen Epoche. Machiavelli sprach auch von einem Bild. Aber seines war das des Menschen. Und das Bild des Menschen reduzierte sich bei diesem Staatstheoretiker auf eine kalkulierbare Größe. Handlungen und politische Entscheidungen sind demnach spielend vorhersehbar und immer taktisch durchdacht. Am Ende dieser Kunstfertigkeiten wartet die ekelerregende Belohnung der Macht über andere. Der zweckmäßige Gebrauch durchdachter Schachzüge und Mittel zieht seitdem siegreich durch die Geschichte des politischen Verderbens. In unserem Selfie aus dem Telefon spricht der selbe Zweck und die selbe Berechenbarkeit Machiavellis. Aber vor allem die Lust des Darstellens und ja, auch eine gewisse Politik, die sich durch die andauernde Erinnerung an unsere scheinbar unzerbrechliche und vorzeigetauglichen Welt aufdrängt . Vielleicht glauben wir so die Kontrolle über etwas zu haben, das wir gerne besitzen würden.

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